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Fruchtbarkeit unter Kontrolle?

Zur Problematik der Reproduktion in Natur und Gesellschaft

Erschienen am 11.08.2008, 1. Auflage 2008
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593385860
Sprache: Deutsch
Umfang: 458 S., 31 Illustr.
Format (T/L/B): 2.8 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Immer mehr Paare erfüllen sich ihren Wunsch nach Nachwuchs durch künstliche Befruchtung. Auch in der Landwirtschaft wird die Fortpflanzung kaum noch dem 'Zufall' überlassen. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes führen die verschiedenen Debatten über Fortpflanzung und Sterilität in Medizin, Landwirtschaft und Gesellschaft zusammen und gehen dem ambivalenten Stellenwert von Fruchtbarkeit in unserer hoch technisierten Welt nach.

Autorenportrait

Gabriele Herzog-Schröder, Dr. phil., ist Ethnologin; Franz-Theo Gottwald, Prof. Dr., ist Agrar- und Ernährungsethiker und Vorstand der Schweisfurth-Stiftung; Verena Walterspiel, M.A., ist Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Schweisfurth-Stiftung

Leseprobe

Fruchtbarkeit unter Kontrolle? Zusammenschau verschiedener Perspektiven auf ein Lebensprinzip Gabriele Herzog-Schröder Am Beginn des Projekts, dessen Ergebnis in Form dieses Buches vorliegt, stand eine persönliche Erfahrung. Während meiner ethnologischen Forschungsaufenthalte bei amazonischen Indianern konnte ich mehrfach das Erstmenstruationsritual miterleben. Bei der Ausdeutung dieses Übergangsrituals verspürte ich eine deutliche Irritation: offensichtlich ging es hier um die Transformation junger Mädchen zu reifen, "fruchtbaren" Frauen. Warum jedoch - so meine Frage - wurde das Motiv der Fruchtbarkeit von diesen Menschen, die so unmittelbar in der Natur zu leben scheinen, in keiner Weise thematisiert? Fruchtbarkeit, Kinderkriegen, Reproduktion und alle daran anknüpfenden Assoziationen, die sich in unserer Vorstellung von traditionellen Kulturen aufdrängen, kamen einfach nicht vor. Diese merkwürdige Leerstelle führte zu einem Nachdenken über die Art und Weise, in der wir selbst in unserer Kultur Fruchtbarkeit und "Reproduktion ", Zeugung und Erzeugung, Befruchtung und Konzeption in Bilder fassen. Die Kulturwissenschaften haben während der vergangenen Dekaden, in denen die Beschäftigung mit den Geschlechtern von großer Bedeutung war, die Fruchtbarkeit recht stiefmütterlich behandelt. Dies ist rückblickend nachvollziehbar, denn aufgrund biologischer Gesetzmäßigkeiten wurde die geschlechtliche Reproduktion lange Zeit eng mit dem Wesen und Schicksal von Frauen verbunden. Die kritische Auseinandersetzung mit dieser vermeintlichen Fixierung mündete im feministischen Theoriediskurs in das vornehmliche Ziel, die Frau aus ihrer "natürlichen" Festschreibung als Gebärende, Sorgende und Pflegende zu lösen und das Spektrum und Potenzial weiblicher Handlungsräume und Einflussstrukturen jenseits ihrer reproduktiven Funktion auszuforschen und deutlich zu machen. Beim experimentellen Diskutieren unterschiedlicher sexueller Orientierungen und alternativer Geschlechterrollen galt die Thematisierung von Fruchtbarkeit oder Mutterschaft als unpassend: hier drohte der Rückfall zur Determinierung von "Biologie als Schicksal". So ist die lange Tabuisierung von Fruchtbarkeit innerhalb der kulturwissenschaftlichen Debatten verständlich. Die Zeit des sich entfaltenden Gender-Diskurses fiel zudem zusammen mit den Folgen der "sexuellen Revolution", die Sexualität fast ausschließlich als Lust und Sinnlichkeit in den Blick nahm. Konzeptionsverhütende Methoden, allen voran die "Anti-Baby-Pille", wie sie im Volksmund genannt wurde, verbreiteten sich rasch und bewirkten, dass die reproduktiven Konsequenzen von Sexualität nicht nur in den theoretischen Diskussionen ausgeblendet wurden, sondern auch in der Lebenspraxis weitgehend in den Hintergrund treten konnten. So plausibel sich die Leerstelle "Fruchtbarkeit" aus der jüngsten Kulturgeschichte erklären lässt, es bleibt doch ein Erstaunen und auch Erschrecken darüber, dass das existenzielle Prinzip "Fruchtbarkeit" derart tief verschüttet ist, und dies nicht nur für die Menschen, sondern bezüglich des Lebendigen überhaupt. Die Abspaltung und Ausblendung eines grundlegenden Prinzips - der Fruchtbarkeit - vom Prozess des Lebens ist nur vor dem Hintergrund ökonomischer und technologischer Wachstumsillusionen erklärlich, als eine Folge unseres politisch einseitig genährten Fortschrittsglaubens. Ohne Fruchtbarkeit und Re-Generation - die Abfolge von Leben und wieder neuem Leben - ist jedoch nicht einmal der Fortbestand gesichert; sie sind die unabdingbare Voraussetzung jedweder Nachhaltigkeit. Eine Neuthematisierung von Fruchtbarkeit ist dringlich zu einer Zeit, in der das erste "Retortenbaby" der Welt, Louise Brown, selbst Mutter geworden ist, in der sich Schulkinder recht selbstverständlich über ihre eigene Zeugung in der Petrischale austauschen und in der die Ethikdiskussion um das Klonen von Stammzellen die Kommentare ernstzunehmender Presseorgane bestimmt. Sind dies unsere zeitgemäßen Äquivalente z

Inhalt

Inhalt Vorwort "Fruchtbarkeit unter Kontrolle?" Zusammenschau verschiedener Perspektiven auf ein Lebensprinzip Gabriele Herzog-Schröder I Paradoxe Verhältnisse - Fakten und Ambivalenzen Überbevölkerung und demographische Schrumpfung. Eine Herausforderung für das Überleben der menschlichen Zivilisation Max Tilzer Chemikalien außer Kontrolle - Folgenschwere Auswirkungen des Massenkonsums Patricia Cameron II Kulturelle Bilder und Vorstellungen Fruchtbarkeit als Befreiung vom Leistungsprinzip Biblisch-spirituelle und psychoanalytische Überlegungen Eckhard Frick sj Fruchtbarkeit im Spannungsfeld von Tradition und kultureller Dynamik Gunther Hirschfelder "Darüber spricht man nicht...!? " (Un)Fruchtbarkeit zwischen Thema und Tabu Verena Walterspiel Fruchtbarkeit und andere Leben spendende Prinzipien in den Ritualen der Yanomami in Amazonien Gabriele Herzog-Schröder III Fragestellungen und Lösungsansätze aus der Medizin Reproduktionsmedizin zwischen Technologie und Magie: Vom Wunsch zur Wirklichkeit Wolfgang Würfel Der psychoanalytische Blick auf natürliche Fortpflanzung und technische Reproduktion Ute Auhagen-Stephanos IV Landwirtschaft als Basis der Fruchtbarkeit: Boden, Tier, Pflanzen Wert, Würde und Ehrfurcht - Von der achtsamen Gestaltung der Fruchtbarkeit Franz-Theo Gottwald/Isabel Boergen "Wenn der Samen nicht mehr keimt, hat er keine Seele mehr" Fruchtbarkeit von Kulturpflanzen im Kontext bäuerlicher und professioneller Pflanzenzüchtung Andrea Heistinger "Wem gehört die Fruchtbarkeit?" Schöpfung gestern, heute, morgen Anita Idel Terminator-Technologie in der Pflanzenzucht Martha Mertens Die Krise der Bienenhaltung - ein Symptom unfruchtbarer Konzepte Thomas Radetzki V Fruchtbarkeit als Kategorie der Nachhaltigkeit in der Ökonomie Die Neuerfindung des Ökonomischen: Ein (re)produktionstheoretischer Beitrag Sabine Hofmeister/Adelheid Biesecker Autorinnen und Autoren

Schlagzeile

Fruchtbarkeit und Sterilität