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Fundamente sozialen Zusammenhalts

Mechanismen und Strukturen gesellschaftlicher Prozesse

Erschienen am 10.05.2010, 1. Auflage 2010
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593391519
Sprache: Deutsch
Umfang: 261 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Der Zusammenhalt von Gesellschaften beruht in kleinen und in großen Gruppen, in Organisationen und Staaten auf elementaren Fundamenten des sozialen Miteinanders. Wie kommen diese Fundamente zustande und wodurch tragen sie zum Zusammenhalt bei? Neben Vertrauen, sozialer Gerechtigkeit und Verbindlichkeit werden weitere Konzepte, wie Netzwerke oder Solidarität aus theoretischer und empirischer Perspektive vorgestellt.

Autorenportrait

Maya Becker und Rabea Krätschmer-Hahn sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Gesellschaftsund Politikanalyse der Universität Frankfurt am Main.

Leseprobe

Einleitung Das soziale Zusammenleben in einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist ohne einen "sozialen Zusammenhalt" kaum vorstellbar. Der soziale Zusammenhalt von Dyaden, kleinen und großen Gruppen, Organisationen, einer ganzen Gesellschaft und von Staatenbünden beruht auf verschiedenen elementaren Fundamenten. Diese Fundamente können einzeln oder zusammen wirken und so den sozialen Zusammenhalt herstellen und festigen. Was sind bedeutende "Fundamente", und auf welche Weise tragen sie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei? Für die unterschiedlichen Ebenen von Handlung und Gesellschaft treten jeweils charakteristische Aspekte hervor, die den sozialen Zusammenhalt in besonderem Maße kennzeichnen und regeln: Auf der Ebene des sozialen Handelns sind vor allem Sprache, Reziprozität, Verbindlichkeit, Werte und Anerkennung wichtig. Für den Zusammenhalt von sozialen Gruppen haben soziale Netzwerke, Rhythmus, Konflikte, Aufmerksamkeit und Interesse eine zentrale Bedeutung. Der Wohlfahrtsstaat gründet auf weiteren elementaren Fundamenten: soziale Gerechtigkeit, wohlfahrtsstaatliche Werte, soziale Sicherheit, Solidarität und Vertrauen. Alle diese Fundamente sozialen Zusammenhalts können auf allen gesellschaftlichen Ebenen zum tragen kommen - sie sind nicht nur auf die eben genannten beschränkt. Beispielsweise sind Solidarität und Vertrauen auch für den Zusammenhalt im sozialen Handeln oder bei sozialen Gruppen wichtig und Anerkennung kann auch für den Wohlfahrtsstaat eine zentrale Grundlage bilden. Die Vernetzung und das Zusammenspiel der einzelnen Fundamente gesellschaftlichen Zusammenhalts auf allen Ebenen von Handlung und Gesellschaft (soziales Handeln - soziale Gruppe - Wohlfahrtsstaat) verdeutlicht die Komplexität, die den Mechanismen von "sozialem Zusammenhalt" zugrunde liegt. Diese sozialen Mechanismen greifen ineinander, bedingen oder verstärken sich gegenseitig - sie durchdringen die Mikroebene ebenso wie die Meso- und die Makroebene. Weisen die genannten Fundamente größere Defizite auf, so kann dies als Gefahr für den Zusammenhalt von Gesellschaften, Gruppen oder das Zusammenspiel bei sozialem Handeln interpretiert werden. Je schlechter die Mechanismen aufgrund von Problemlagen funktionieren, desto ungünstiger erweisen sich die Konsequenzen für den sozialen Zusammenhalt und das Zusammenleben der Menschen. Die drei Kapitel des Bandes vereinen Beiträge ganz unterschiedlicher Art - ebenso wie die Fundamente selbst mannigfaltig ausgestaltet sein können: Manche Aufsätze thematisieren das Handeln zwischen zwei Individuen, andere untersuchen Strukturen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Viele Beiträge sind stärker theoretisch ausgerichtet, einige fokussieren den empirischen Vergleich und wieder andere liefern konzeptionelle Entwürfe. Alle eint, dass sie Komponenten sozialer Prozesse analysieren, die dazu dienen, latente und manifeste Regelmechanismen für sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft zu verstehen. Fundamente sozialen Handelns Ein zentrales Element für Identität ist die Sprache (Max Haller). Sie ermöglicht uns die Interaktion mit anderen und schafft oder verhindert kollektive Zugehörigkeiten: Sprache ist die Schlüsselqualifikation für den Zugang zu einer Gemeinschaft. Eine neue Spracherlernung oder die Aufgabe der Muttersprache kann aus verschiedenen Motivationen heraus erfolgen - entweder aus einem wirtschaftlichen Interesse, resultierend aus einem Wechsel des sozialen Umfeldes; bezüglich eines soziokulturellen Anreizes; basierend auf einem Gefühl der Minderwertigkeit der eigenen Sprache oder auf gesellschaftlich-politischen Druck hin. Diese verschiedenen Facetten und ihre Konsequenzen werden anhand empirischer Beispiele beleuchtet. Reziprozität (Geraldine Hallein-Benze) scheint eines der grundlegenden Prinzipien sozialer Interaktion zu sein, denn ohne ein adäquates Geben und Nehmen entsteht keine soziale Beziehung. Reziprozitätsvorstellungen und -erwartungen prägen auch heute den modernen Sozialstaat. Damit wird deutlich, wie die gesetzliche Rentenversicherung als institutionalisiertes Reziprozitätsgefüge verstanden werden kann, in dem ein Austausch annähernd äquivalenter Leistungen erwartet wird - aus Enttäuschungen hinsichtlich dieser Erwartungshaltung resultieren Ungerechtigkeitsempfindungen innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen. Eine Beziehung zwischen Individuen oder Gruppen wird erst dann gefestigt, wenn Verbindlichkeit (Rabea Krätschmer-Hahn) unter den Beziehungspartnern herrscht. Diese wird über verbindliches Handeln hergestellt, das gekennzeichnet ist sowohl durch eine rationale Entscheidung als auch durch eine gefühlte Verpflichtung. Ein solches Verbindlich-Sein kann vielerlei Ausprägungen haben: So gibt es latente und manifeste Zusagen innerhalb einer sozialen Beziehung. Dabei liegen die Mechanismen von Treue und Dankbarkeit dem Prinzip der Verbindlichkeit zugrunde und werden im sozialen Interagieren durch reziprokes Verhalten und Moralvorstellungen vermittelt. Individuen orientieren ihr Handeln an Werten (Heiner Meulemann), deren Inhalte sich durch Einstellungsbefragungen dokumentieren lassen. Der Beitrag untersucht das Verhältnis von Einstellungen zum Selbstbestimmungsrecht und zum Wert der Unverfügbarkeit des Lebens. Anhand von sozialen Grenzsituationen - künstliche Befruchtung, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Selbstmord - wird nachgezeichnet, dass heute individuelle Entscheidungen vorwiegend im Sinne des Selbstbestimmungsrechts getroffen werden. Anerkennung (Jens Becker) innerhalb einer sozialen Beziehung vermittelt den Beziehungspartnern Selbstbewusstsein, das sie zu einem konkreteren Bild ihrer selbst kommen lässt. Dabei kann man unterschiedliche Anerkennungssphären unterscheiden: zum Beispiel die der Liebe, des Rechts und der Solidarität. Darüber hinaus kann man Anerkennung nicht nur als Moment zwischen Individuen ausmachen, sondern allgemeiner auch als eine Angelegenheit der Gerechtigkeit (auf institutioneller Ebene) untersuchen. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Reichtum und sozialer Anerkennung wird thematisiert, denn hierin besteht eine wichtige Funktion für sozialen Zusammenhalt. Fundamente sozialer Gruppen Wie kommen Beziehungsstrukturen zustande und welche Regeln gibt es hierfür? Die Bedeutung von Positionen und den damit verbundenen Handlungsmustern werden in sozialen Netzwerken (Christian Stegbauer) untersucht. Soziale Netzwerke produzieren Kultur und sind bedeutsam für das, was wir sollen und wer wir sind. Die fundamentale Bedeutung der Netzwerke kann im Vergleich zur "Coleman-Badewanne" aufgezeigt werden, da hier nur die zwei Ebenen des Sozialen - individuelle Handlungen und Makroebene - thematisiert werden. Der soziale Rhythmus (Maya Becker) teilt sich in einen individuellen und einen kollektiven Rhythmus, wobei der individuelle dem kollektiven Rhythmus untergeordnet ist. Kollektive Rhythmen sind auf der Mikro-, Meso- und Makroebene der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft zu finden. Der kollektive Rhythmus von "Werktag - Wochenende" und der soziale Rhythmus von "Tag - Nacht" organisieren und koordinieren auf der Makroebene das soziale Leben in grundlegenden Bereichen. Ob Konflikte (Mathias Bös) als "bewusst verfolgte Interessengegensätze zwischen mindestens zwei Parteien" als Fundament gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachtet werden können, wird am Beispiel der ethnischen Konflikte thematisiert. Für die ethnischen Konflikte, die außergewöhnlich und folgenschwer oder gewöhnlich und banal sein können, spielt die von den Konfliktparteien vorgenommene Definition eines teilbaren oder unteilbaren Konfliktgegenstandes eine wichtige Rolle. Aufmerksamkeit (Bernhard Engel) ist für Massenmedien und ihre Werbung bedeutend. Im "Media Model der Advertising Research Foundation" wird Aufmerksamkeit als Verbindung zwischen Mediennutzung und Wirksamkeit der Werbung thematisiert. Die empirischen Ergebnisse aus der Medienforschung zum Eye Tracking zeigen, wie Aufmerksamkei...