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Theorien über Judenhass - eine Denkgeschichte

Kommentierte Quellenedition (1781-1931), Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 26

Erschienen am 25.11.2015, 1. Auflage 2015
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593504704
Sprache: Deutsch
Umfang: 362 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 21.9 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Wie hat man - vom späten 18. bis zum frühen 20.Jahrhundert -über den Antisemitismus nachgedacht? Diese Anthologie dokumentiert signifikante, oft vergessene Quellentexte, die sich mit dem Phänomen des Judenhasses auseinandersetzen und es theoretisch zu erklären versuchen. Sie zeigt die Erkenntnisarbeit, die in den zumeist von jüdischen Autoren verfassten Texten steckt und macht die Anstrengung deutlich, die darin liegt, dass diese Reflektionen in den nichtjüdischen Zeitgenossen oft kein intellektuelles Gegenüber fanden. Jeder der abgedruckten Quellentexte wird von einem kommentierenden Artikel begleitet.

Autorenportrait

Birgit Erdle ist Walter Benjamin Visiting Professor an der Hebrew University in Jerusalem. Apl. Prof. Dr. Werner Konitzer ist stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts.

Leseprobe

Einleitung "Ich kann es nicht; versuche ich es, gleich sinkt mir die Hand", notiert Franz Kafka im Juni des Jahres 1922 in einem Brief an Robert Klopstock. Die gestische Beschreibung Kafkas zeugt vom Scheitern mehrerer Anläufe, eine Besprechung zu einem Buch zu verfassen, das kurz zuvor im Druck erschienen war: Secessio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung von Hans Blüher. Ende Juli kommt Kafka auf Blühers Buch zurück, in der Passage eines Briefs an Max Brod, in der er den ebenfalls 1922 veröffentlichten Band Deutsche Dichtung in neuer Zeit von Friedrich von der Leyen kommentiert: "Zu der Literaturgeschichte: [.] sie scheint eine Begleitmusik zur Secessio Judaica und es ist erstaunlich, wie innerhalb einer Minute einem allerdings sehr günstig voreingenommenen Leser mit Hilfe des Buches die Dinge schön sich ordnen, etwa die Menge halb bekannter, gewiß ehrlicher, dichterischer Männer, die in einem Kapitel >Unser Land< auftauchen, nach Landschaften geordnet, deutsches Gut, jedem jüdischen Zugriff unzugänglich, und wenn Wassermann Tag für Tag um 4 Uhr morgens aufsteht und sein Leben lang die Nürnberger Gegend von einem Ende zum andern durchpflügt, sie wird ihm nicht antworten, schöne Zuflüsterungen aus der Luft wird er für ihre Antwort nehmen müssen." Versucht Kafka dem Antisemitismus im Feld der Literaturgeschichte ironisch zu begegnen, mit einer subtilen Deutung der Zuschreibungen "deutsch" und "jüdisch", so muss eine solche Umgangsweise in Bezug auf Blühers Secessio Judaica als sinnlos erscheinen. Das hält Kafka in einer abgebrochenen Tagebuchnotiz vom Juni 1922 fest: "[M]erkwürdig leicht, bei jeder Bemerkung fast", komme man "in den Verdacht [.], man wolle die Gedanken dieses Buches ironisch abtun", selbst dann, "wenn man wie ich angesichts dieses Buches von nichts weiter entfernt ist als von Ironie." Wie kann man ein Antisemit sein, ohne ein Judenfeind zu sein? Blüher, so schreibt Kafka, "nennt sich einen Antisemiten ohne Haß, sine ira et studio, und er ist es wirklich, aber er erweckt sehr leicht, fast bei jeder Bemerkung, den Verdacht, daß er ein Judenfeind ist, sei es in glücklichem Haß, sei es in unglücklicher Liebe." Diese neue (deutsche) Form eines philosophischen Antisemitismus, der die erwähnte Literaturgeschichte, wie Kafka vermutet, die "Begleitmusik" liefert, ist gegenüber einem ethnisch argumentierenden Nationalismus, wie er Kafka in Prag begegnete, etwas grundsätzlich Anderes. Franz Kafka nennt Hans Blühers Buch einen "Anruf", der nicht der "Widerlegung" bedarf, sondern eine "Antwort" erfordert - eine Erwiderung, die nicht als ein "in jedem Fall entscheidende[r] Wettkampf" zu denken wäre, etwa als "Kampf zwischen Goliath und David", sondern als "seitliche[n] Beobachtung des Goliath", "beiläufige[n] Feststellung der Kräfteverhältnisse", "Revidierung der eigenen Bestände". Oskar Baum übernimmt es schließlich, eine öffentliche Antwort zu geben, in einem Vortrag und in seinem Artikel "Die jüdische Gefahr", der 1923 in der von Martin Buber herausgegebenen Monatsschrift Der Jude veröffentlicht wurde und in der hier vorgelegten Quellenedition wiederabgedruckt ist. Die von Kafka bezeugte Müdigkeit mag auch der Erkenntnis geschuldet sein, dass "Widerlegung", also eine Argumentation, die die Tatsachen richtigstellt, angesichts dieser Form der Judenfeindschaft ins Leere greift. Zu einer Antwort genötigt - in einer Situation der Bedrohung, oft auch einer der Isolation, und fast immer gegen die Zeitströmung herrschenden Denkens gerichtet - sahen sich nahezu alle in diesem Band versammelten Autoren, und nur selten teilten die nichtjüdischen deutschen Intellektuellen die Last solcher Nötigung. Die vorliegende Edition will die Erkenntnisarbeit, die in den zumeist von jüdischen Autoren verfassten Texten steckt, zeigen und analysieren, und sie will zugleich die Anstrengung deutlich machen, die darin liegt, dass diese Erkenntnisarbeit in den

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Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts