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Die Behandlung der Opfer (Leben Lernen, Bd. 240)

Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten, Leben Lernen 240

Erschienen am 08.04.2011, 1. Auflage 2011
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608891072
Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 21 x 13.5 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Im Umgang mit traumatisierten Menschen messen wir mit zweierlei Maß. Während Opfer von Missbrauch und Familiengewalt oder von Großschadensereignissen und Naturkatastrophen im heutigen Europa mit dem vollen therapeutischen Unterstützungsprogramm rechnen können, werden die oft schwer traumatisierten Flüchtlinge und Opfer politischer Gewalt grob vernachlässigt. Und mehr als das: Nicht selten wird diese Personengruppe durch unsere Behörden, unsere Bürokratie und durch unsere Ignoranz retraumatisiert. Auf der Basis seiner Arbeit mit Flüchtlingen und Opfern des Nazi-Regimes, deren Geschichten eindringlich erzählt werden, hat Klaus Ottomeyer Standards entwickelt, die das therapeutisch und zwischenmenschlich Nötige praxisnah formulieren. Darüber hinaus wird der gesellschaftliche Hintergrund für unseren Umgang mit den Opfern beleuchtet. ZIELGRUPPE: Traumatherapeuten Psychotherapeuten aller Schulen beratende Psychologen Sozialarbeiter ehrenamtliche Helfer in der Flüchtlingsbetreuung

Autorenportrait

Klaus Ottomeyer, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Klagenfurt, praktisch tätig als Traumatherapeut, ist Vorstand des Kärntner Forschungs- und Beratungszentrums für Traumaopfer 'Aspis'.

Leseprobe

Vorwort Das Anteilnehmen an extrem belastenden Erfahrungen hat in den letzten Jahren zugenommen, und das ist erfreulich. Das Bedürfnis, Schlimmes von sich fernzuhalten, um davon nicht 'angesteckt' zu werden, ist ja verständlich. Denn vieles spricht inzwischen dafür, dass die meisten Menschen gar nicht anders können, als das Leiden anderer auch mitzufühlen. In der Beschäftigung mit traumatischen Lebenserfahrungen und deren Folgen scheint es jedoch eine unbewusste Hierarchie im öffentlichen Diskurs zu geben. Zunächst stoßen Naturkatastrophen und deren Folgen auf breites öffentliches Interesse, danach kommen, zumal in letzter Zeit, die Opfer von Gewalt und sexueller Gewalt in der Familie und im familiären Umfeld, siehe im Frühjahr 2010 die Anteilnahme der Öffentlichkeit an den Folgen von Traumatisierungen von Kindern in Schulen, Heimen etc. Doch wer weiß, auch unter Fachleuten, um das Grauen, das Menschen, die als Asylsuchende oder als hochbetagte Opfer des NS-Terrors zu uns kommen, erlitten haben? Wenn man bedenkt, dass Terrence des Prés wichtiges Buch 'Der Überlebende - Anatomie der Todeslager', das auf Englisch 1976 erschien, auf Deutsch erst im Jahr 2008 herauskam, so kommt man nicht umhin, eine Scheu und Vermeidungstendenzen im Umgang mit kollektiv zugefügtem Leid zu vermuten. Vielleicht weil die Opfer von staatlichem und politischem Terror uns an unsere Geschichte als Tätervolk erinnern? Umso wichtiger erscheint es mir, dass Klaus Ottomeyer und sein Team bei Aspis in Klagenfurt sich der Opfer staatlicher und politischer Gewalt annehmen, so wie es einige ähnlich ausgerichtete Beratungsstellen in Deutschland ebenfalls tun. Die Zahl dieser engagierten Kolleginnen und Kollegen ist nicht groß im Vergleich mit den vielen, die sich heute um Psychotraumata kümmern. Es könnte allerdings auch ihnen widerfahren, dass ein Mensch, der Opfer von Krieg, Vertreibung und Folter ist, in die Praxis kommt. Und dann werden sie sich vor die Herausforderung gestellt sehen, dass ihr Handwerkszeug zum Umgang mit den speziellen Traumafolgen bei Weitem nicht ausreicht. Das Buch von Klaus Ottomeyer fordert uns heraus, uns mit der Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert genauer zu befassen und zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht weit entfernt von uns Menschen gequält und gefoltert werden. Klaus Ottomeyer zeigt, wie er und sein Team mit diesen Menschen arbeiten. Es wird deutlich, dass vieles gebraucht wird, vor allem aber mitfühlende Menschlichkeit und ein weit über das übliche professionelle Engagement hinausgehender Einsatz. Die Fallgeschichten in Klaus Ottomeyers Buch werden wohl kaum jemand kalt lassen. Ich habe mich immer wieder bei der Lektüre geschämt, eine Europäerin zu sein und Teil eines Systems, das alles tut, um Menschen mit diesen und ähnlichen Geschichten nicht die notwendige Fürsorge angedeihen zu lassen. Mit breitem psychoanalytischem Hintergrund und tiefem Verständnis für seine Patientinnen und Patienten gelingt es Klaus Ottomeyer, die Leserin und den Leser auf eine Reise in die innere und äußere Welt der Opfer mitzunehmen. Von ihm ist zu lernen, wie man den Opfern begegnen kann: als Mensch und als professionell handelnde Therapeutin. Das Buch vermittelt sowohl tiefenhermeneutisches wie sozialpsychologisches Wissen und Verstehen und zeigt, wie man dieses Wissen praktisch und kreativ umsetzen kann. Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser. Denn seine Lektüre hilft, schwer traumatisierten Menschen mit weit mehr als Technik zu begegnen. Luise Reddemann Wozu dieses Buch? Der Titel des vorliegenden Buches 'Die Behandlung der Opfer' klingt zunächst mehrdeutig oder vielleicht auch anmaßend. Aber seine Mehrdeutigkeit ermöglicht es mir zu erklären, worum es mir geht. Es geht erstens darum zu zeigen, dass es möglich ist, Menschen, die traumatisiert sind, die großen Schrecken und tiefe Verzweiflung erlebt haben, mit den Mitteln der Psychotherapie zu behandeln; und dass es mittlerweile erprobte Wege und handwerkliche Mittel der Traumatherapie gibt, die zu kennen und in verständlicher Form weiterzugeben, Sinn macht. Obwohl es eine empfohlene Abfolge der therapeutischen Schritte und bestimmte Techniken gibt, darf man die Patienten und Patientinnen nie schematisch behandeln, sondern muss für jeden und jede 'die Therapie neu erfinden'. Deshalb erzähle ich vor allem Geschichten von Menschen. Ein therapeutischer Pessimismus in der Behandlung ist ebenso unangebracht wie die Vorstellung, allen Hilfe suchenden Patientinnen und Patienten helfen zu können oder zu müssen - der 'furor sanandi', wie Freud es nannte. Ich werde zumindest eine Geschichte erzählen, in der mein furor sanandi vorkommt und wahrscheinlich nichts Gutes bewirkt hat. Es geht im Buch zweitens darum zu zeigen, wie die Gesellschaft (und das sind auch wir selbst) die Opfer von Gewalt und ihre Traumata behandelt: nämlich oft genug respektlos, entwertend, schikanierend und manchmal sogar sadistisch - wobei Politiker hier die Funktion von Schleusenwärtern oder Schleusenöffnern haben. Das beeinflusst natürlich die Heilung und Erholung der Trauma-Opfer - bis hin zu der Erfahrung, dass die nachträgliche schlechte Behandlung und Ignoranz gegenüber den Opfern für sie eigentlich die schlimmste Traumatisierung darstellt. Darüber hinaus beeinträchtigt die schlechte Behandlung der Opfer durch die Gesellschaft und die Politik unser aller Lebensqualität. Traumatisierung ist - worauf Luise Reddemann (2008) hingewiesen hat - vor allem ein extremer Angriff auf die menschliche Würde. Wenn wir Ignoranz und Verhöhnung gegenüber einer besonders verletzlichen und in ihrer Würde bedrohten Menschengruppe - zum Beispiel gegenüber traumatisierten Flüchtlingen - zulassen, wird dies über kurz oder lang auf uns zurückschlagen. An den traumatisierten Asylsuchenden, die nicht mehr und nicht weniger als ein Menschenrecht in Anspruch nehmen, welches in allen demokratischen Gesellschaften verankert ist, wird seit geraumer Zeit die Entwertung und Beschimpfung ganzer Menschengruppen eingeübt, die als verletzlich, ökonomisch 'überzählig' oder ganz einfach als faul gelten. Dabei mag die Beschimpfung der Opfer, an denen 'ein Exempel statuiert wird', gegen die Angst helfen, selbst einmal zu den Invaliden und Opfern des gesellschaftlichen Prozesses zu gehören. Es zeichnet sich ab, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Herbst 2008 begonnen hat, die Jagdbereitschaft der (noch) Integrierten weiter verstärkt. Die politischen Profiteure und Demagogen sind schon dabei, das Feuer anzufachen. Die Traumadiskussion, die wir in den Gesundheitswissenschaften seit etwa 25 Jahren und in den westlichen Medien seit etwa 15 Jahren führen, war manchmal unscharf und mit einer inflationären Verwendung des Traumabegriffs verbunden. Sie hatte aber mit der Anerkennung von seelischem Leid, das durch gesellschaftliche Gewalt (und manchmal auch durch die Gewalt der Natur) hervorgerufen wird, einen wichtigen 'civilizing influence', der immer wieder verloren zu gehen droht. Die Tendenzen zu einem erneuten Vergessen und zur Verachtung der Opfer sind genauso stark. Es wird auch erfolgreich gesplittet: Westeuropäische Opfer des Tsunami oder von anderen 'Großschadensereignissen' erhalten (zu Recht) jegliche Hilfe nach dem neuesten Stand der Trauma-Wissenschaft - und zwar ohne Wartezeiten. Gleichzeitig werden traumatisierte Menschen aus Asien oder Afrika, die dem Tode nahe waren, möglichst 'ohne Ansehen der Person' gleich wieder zurückgeschickt, wenn sie zum Beispiel aus Somalia oder Darfur kommend auf Lampedusa, diesseits der europäischen Grenze, gelandet sind. Wenn sie es schaffen, sich irgendwie auf der europäischen Rettungsinsel festzukrallen, gelten sie als 'Wirtschaftsflüchtlinge' oder Simulanten. Auch Millionen von Flüchtlingen aus dem Irak haben sich die - vor allem um sich selbst besorgten - Europäer erfolgreich vom Leib gehalten. Es geht also drittens bei der Rede von der 'Behandlung der Opfer' um einen wünschenswe... Leseprobe

Schlagzeile

Viele Flüchtlinge werden bei uns ein zweites Mal misshandelt.