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Mein ärgster Feind

Roman

Erschienen am 15.09.2008
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783813503111
Sprache: Deutsch
Umfang: 112 S.
Format (T/L/B): 1.2 x 20.5 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Das Psychogramm einer Ehe - Willa Cathers Meisterwerk!

Mit ''Mein ärgster Feind'', der kompromisslos ehrlichen Geschichte einer Liebe, setzt der Knaus Verlag die Neuausgabe der Werke von Willa Cather fort. Dieser meisterhafte Roman zeigt einmal mehr, warum Willa Cather eine der bedeutendsten amerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts ist.

Das Schicksal Myra Driscolls und die Geschichte ihrer Liebe ist für die 15-jährige Nellie das einzig spannende Thema. Vor Jahren hat Myra auf ein sicheres Leben in der Provinz verzichtet, um ihrer großen Liebe nach New York zu folgen. Als Nellie Myra kennenlernt, trifft sie eine lebhafte, kultivierte, liebenswürdige Frau. Mit ihrem Mann Oswald lebt sie die romantische Idee der großen Liebe, von der auch Nellie träumt. Doch dann wird das junge Mädchen Zeugin einer Eifersuchtsszene, und alles Sanfte, Gute und Liebevolle scheint zu zerbrechen. Erst Jahre später, als Nellie das Paar unter schwierigen Umständen wiedertrifft, begreift sie die zwei Seiten dieser Liebe. Beim Erscheinen 1926 erregte ''Mein ärgster Feind'' wegen seines schonungslosen Blicks auf Liebe und Ehe großes Aufsehen. Bis heute faszinieren sprachliche Genauigkeit und hellsichtige Klarheit dieses literarischen Kleinods.

In der Neuübersetzung von Stefanie Kremer, mit einem Nachwort von Antje Ravic Strubel.

Leseprobe

Ich war fünfzehn, als ich Myra Henshawe zum ersten Mal begegnete, doch ihre Legende kannte ich schon seit meiner frühesten Kindheit. Von ihr und dem Tag, an dem sie durchbrannte, um zu heiraten, handelten die interessantesten, ja eigentlich die einzig interessanten Geschichten, die man sich in unserer Familie an Feiertagen und bei Festessen erzählte. Meine Mutter und meine Tanten hörten noch immer von Myra Driscoll, wie sie sie nannten, und Tante Lydia reiste von Zeit zu Zeit nach New York, um sie zu besuchen. Unter den Freundinnen ihrer Mädchenjahre war sie die Schillernde gewesen, die Schöne, und ihr Leben war so aufregend und bewegt verlaufen, wie das unsrige eintönig war. Obwohl sie in Parthia, unserem Heimatstädtchen im Süden von Illinois aufgewachsen war, kehrte Myra Henshawe nach ihrer Flucht nie wieder dorthin zurück - bis auf ein einziges Mal. Das war in jenem Jahr, in dem ich die Highschool abschloss, und sie musste zu der Zeit eine Frau von fünfundvierzig Jahren gewesen sein. Sie kam im Frühherbst, nachdem sie sich mit einem kurzen Telegramm angekündigt hatte. Ihr Mann, der im New Yorker Büro einer der Eisenbahngesellschaften im Osten angestellt war, reiste geschäftlich in den Westen, und sie wollten zwei Tage Zwischenstation in Parthia machen. Er stieg im «Parthian» ab, wie unser neues Hotel hieß, und Mrs. Henshawe sollte bei Tante Lydia wohnen. Ich war der Liebling meiner Tante Lydia. Sie hatte drei erwachsene Söhne, aber keine Tochter, und sie war der Ansicht, meine Mutter wisse mich nicht richtig zu schätzen. Deshalb gewährte sie mir immer wieder ganz beiläufig kleine «Vergünstigungen», wie sie es nannte. An dem Tag, als die Henshawes ankamen, lud Tante Lydia meine Mutter und meine Schwester zum Abendessen ein, und mir flüsterte sie zu: «Ich möchte gern, dass du schon früher kommst, vielleicht eine Stunde vor den anderen, dann kannst du Myra kennenlernen.» An jenem Abend schlüpfte ich lautlos durch die Vordertür ins Haus meiner Tante, und während ich im Vorraum meinen Umhang ablegte, konnte ich am anderen Ende des Salons eine kleine, mollige Frau in einem schwarzen Samtkleid sehen, die auf dem Sofa saß und leise auf Vetter Berts Gitarre spielte. Sie hatte mich wohl gehört, und als sie aufblickte, sah sie im Spiegel mein Bild; sie legte die Gitarre beiseite, erhob sich und wartete darauf, dass ich näher kam. Sie stand auffällig gerade und sehr steif da, mit durchgedrücktem Rücken und erhobenem Kopf, als wollte sie mich daran erinnern, dass es meine Pflicht war, so schnell wie möglich zu ihr hineinzugehen und mich ihr auf die denkbar höflichste Weise vorzustellen. Ich war mit keinerlei gesellschaftlichen Umgangsformen vertraut, doch durch ihre Haltung gab sie mir zu verstehen, dass sie dies erwartete. Ich eilte durchs Zimmer, und auf meinem Gesicht lag eine solche Verwirrung, eine solche Beklommenheit, dass sie kurz und mitfühlend auflachte, als sie mir ihre reizende, rundliche kleine Hand entgegenstreckte. «Du bist bestimmt Lydias liebe Nellie, von der ich schon so viel gehört habe! Du musst jetzt etwa fünfzehn sein, wenn meine beklagenswerten Rechenkünste noch etwas taugen - stimmt das?» Was für eine wundervolle Stimme, hell und heiter und voll unbekümmerter Liebenswürdigkeit - doch noch immer hielt sie den Kopf gebieterisch erhoben. Das tat sie stets, wenn sie in Gesellschaft war - was, glaube ich, zum Teil daran lag, dass sie langsam ein Doppelkinn bekam und sich dessen wohl bewusst war. Mit ihren tief liegenden, funkelnden grauen Augen musterte sie mich von oben bis unten - bildete sich ihr Urteil über mich. Obwohl sie nicht größer war als ich, fühlte ich mich vollkommen überwältigt von ihr - und dumm, hoffnungslos plump und dumm. Das schwarze Haar hatte sie a la Pompadour hoch auf dem Kopf aufgetürmt; es war kreuz und quer durchzogen von merkwürdigen, weiß schimmernden Strähnen, so dass es aussah wie das Fell einer persischen Ziege oder irgendeines anderen Tiers mit seidenweichem Pelz. Ich konnt Leseprobe