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Geografie /Geography - Cover

Geografie /Geography

Und die Politik der Mobilität /And the Politics of Mobility

Biemann, Ursula / Breitwieser, Sbine / Vasella, Ilia / / / / / / Rogoff, Irit / Parks, Lisa / H
Erschienen am 20.01.2003
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783901107382
Sprache: Englisch
Umfang: 176
Format (T/L/B): 23.0 x 21.0 cm

Autorenportrait

Ursula Biemann Geografie und die Politik der Mobilität In dieser Ausstellung geht es um das veränderliche Moment von Orten und Geografien in einer Zeit, in der Subjekte nicht länger an einen bestimmten Platz gebunden sind. Das Augenmerk liegt aber nicht auf der Bildung entorteter Subjektivitäten, wie sie durch die globale Migration oder die Partizipation an virtuellen, weltumspannenden Aktivitäten entstehen. “Geografie und die Politik der Mobilität” betrachtet immer die Orte selbst, die im Rahmen solcher Prozesse entstehen. So lautet eine der immer wiederkehrenden Fragen, wie sich die menschlichen Pfade, aber auch der Verkehr von Zeichen und visuellen Informationen, dem Terrain materiell einschreiben und bestimmte kulturelle und gesellschaftliche Landschaften herausbilden. Räumliches und geografisches Denken hat in der Postmoderne an Bedeutung gewonnen und ist im Verlauf der Globalisierung zu einem entscheidenden und auch willkommenen Analyseinstrument geworden. Dabei wird Geografie nicht als Teildisziplin der Geowissenschaften begriffen, sondern bezeichnet einen spezifischen Modus der Produktion und Organisation von Wissen – ein Modus, der dem Wechselspiel natürlicher, gesellschaftlicher und kultureller Verhältnisse Rechnung trägt. Dieses Modell funktioniert als theoretische Plattform, von der aus sich über Gesellschaft in einem netzwerkartigen, komplexen und räumlich erweiterten Sinne nachdenken lässt. Besondere Bedeutung haben dabei Konzepte wie Grenze, Verbindung und Überschreitung. Zwar erscheinen mittlerweile sämtliche Phänomene als Elemente weltsystemischer Prozesse und globaler Netzwerke, dennoch bleiben die Begriffe Ort und Lage von übergeordneter Wichtigkeit. Allerdings hat sich der “Ort”, wenigstens in unserer Betrachtungsweise, stark verändert. “Geografie” untersucht Orte, die nicht nur durch die Menschen geprägt sind, die dort wohnen, sondern die auch auf unterschiedlichsten Ebenen alle möglichen Verbindungen unterhalten und in die Bewegungen einbezogen sind. Das reicht von lokalen, privaten und versteckten zu öffentlichen, transnationalen und systemischen Prozessen. Wir können feststellen, dass gegenwärtig eine Vielzahl an Bildern fliessender, ungebundener und transitorischer Identitäten zirkuliert. Dass genau diese Eigenschaften von Identität in zunehmendem Maße erkannt werden, beruht zum Teil auf Transgender-Diskursen, ist aber auch Resultat von Cybermobilität, physischer Migration, allgemein verstärkter Reisetätigkeit und repetitiven Abläufen oder Vervielfachungen innerhalb der menschlichen Bewegungsketten.(1) Kein Zweifel besteht, dass die rasche Ausbreitung der Informationstechnologien und die Liberalisierung der postsozialistischen Länder seit den frühen neunziger Jahren einschneidende Auswirkungen auf die menschliche Mobilität zur Folge haben. Dennoch hat es Migration, nicht anders als Reisende, immer gegeben, nur dass dieses Phänomen bislang aus der Erfahrungsperspektive des stabilen, sesshaften und produktiven Bürgers betrachtet wurde. Der legalisierte Bürger bildet indes nicht länger den zentralen Bezugspunkt kritischer Reflexion. Seine Position repräsentiert auch nicht länger die aktuellen Lebensbedingungen vieler AutorInnen, KünstlerInnen oder anderer kultureller ProduzentInnen. Sowohl das Subjekt, das Theorie betreibt, als auch das Objekt der Aufmerksamkeit erscheint vorübergehend in einer “Transit Lounge” untergekommen, um einen Ausdruck von James Clifford zu zitieren.(2)Ihre Position ist destabilisiert und beweglich. Allerdings sollten wir uns an dieser Stelle fragen, was sich da eigentlich in einem Krisenzustand befindet: die materielle Lebensumgebung draußen oder die akademische Disziplin selbst, die den Verhältnissen eine neue Faszination abgewinnt, weil diese ihre eigene Instabilität reflektiert. Gehen wir vielleicht einfach davon aus, dass es sich um eine Kombination beider Faktoren handelt. Unsere Aufmerksamkeit jedenfalls gilt den translokalen Existenzen, den transformativen kulturellen Praktiken und der Bewegung – der Politik der Bewegung – selbst. Im unmittelbar geografischen Sinn geht die Ausstellung der Logik bestimmter menschlicher Kreisläufe innerhalb einer veränderten Weltordnung nach. Dazu gehören die Anbieterinnen von Telefondienstleistungen in Indien, Boote mit illegalen Einwanderern im Mittelmeer, die europäische Gefängnisindustrie und Schmugglerpfade entlang der spanisch-marokkanischen Grenze. Diese Orte und Nicht-Orte künden von der Neugliederung der Beziehungen zwischen gesellschaftlichen und territorialen Zuständen. Auf einer anderen Ebene umfasst die Ausstellung verschiedene Formen der Zusammenarbeit und zeitweiligen Allianzen, die KünstlerInnen und andere ProduzentInnen im kulturellen Feld praktizieren. Ihr Anliegen ist, Wissen zusammenzutragen oder überhaupt erst zu produzieren, wie diese Kreise operieren, wie sie sich diskursiv und semiotisch wiederholen, und wie sie den Raum, den sie durchqueren, markieren und ihm Bedeutung geben. “Geografie” handelt von kulturellen und operativen Systemen, die in geografischen Kategorien vor- und darstellbar sind. Dabei sind sich die kulturellen AgentInnen, das heißt, die beteiligten KünstlerInnen und AutorInnen, über eines vollkommen im Klaren: Sie sind persönlich einbezogen in das Schreiben einer Geografie, die zur Schaffung eben jenes Raumes, den sie beschreiben, beiträgt. Auch der Ausstellungsraum sollte als eine solche vorübergehende Lokalität betrachtet werden. Seine Bedeutung empfängt dieser Raum im Durchgang von Menschen und im Auftauchen temporärer Projekte; beide schreiben sich ihm in Form eines Programms im Lauf der Zeit ein. Daher repräsentiert auch keine der Arbeiten eine abgeschlossene Position, sondern hilft das Netzwerk zu knüpfen, aus dem heraus diese erst entsteht. Jedes einzelne Projekt gewährt Einblick in ein Repräsentations-System, das im gleichen Maße System der Navigation wie der Darstellung ist. Die Umwälzung, die ich mit dieser Ausstellung adressieren will, zeigt sich also in der diskursiven Verschiebung unserer aktuellen Vorstellungen und Begriffe von Ort und Entortung. Diese neue Kartografie vermittelt sich nicht mehr über eine diasporische Identität, das heißt, über ein Subjekt mit einer bestimmten Geschichte. (Dieses Konzept spielte in der letzten Dekade in intellektuellen und künstlerischen Debatten und Werken eine herausragende Rolle.) Hier geht es vielmehr um die Entwicklung einer theoretischen Plattform, die Gender, Subjekt, Mobilität und Raum in ihrem Zusammenspiel artikuliert, und um visuelles Sprechen über hypermobile, kapitalisierte und geschlechtlich identifizierte (gendered) Körper. Es geht um geografische Körper, um Körper mit einem Reiseplan. Es geht um reisende Identitäten, die ihre Routen dem Land einschreiben. Der Übergang von einem historischen zu einem geografischen Diskurs wurde vor allem von solchen ForscherInnen und kulturellen ProduzentInnen willkommen geheißen, die sich mit den Themenfeldern Globalisierung und Migration auseinander setzen. Galten räumliche Vorstellungen bislang eher dem Cyberspace, urbanen Strukturen oder dem Arbeitsplatz, so würde ich diese Fragestellungen gern auf die globale technologische Geografie erweitert sehen, denn diese bildet die Umgebung einer ständigen Migrationsbewegung geschlechtlich identifizierter Körper. In diesem Sinne folgt die Ausstellung der menschlichen Navigationen durch materielles und elektronisches Terrain und involviert, diejenigen die sich aktiv mit Prozessen der Kommunikation, der Netzwerkbildung, des Informationsaustauschs und der Forschung beschäftigen. Der Begriff “elektronisches Terrain” bezeichnet hier sowohl die elektronischen Kommunikationsnetzwerke wie auch die Landschaften, die durch Satellitenmedien und andere geografische Informationssysteme visuell erzeugt werden. An vielen der gezeigten Arbeiten lässt sich die Verschmelzung dieser beiden Räume zu einer einzigen dynamischen und in hohem Maße geschlechtlich identifizierten Geografie ablesen. Darüber hinaus wird diese Verschmelzung aus der Korrespondenz der Arbeiten untereinander nämlich im Ausstellungszusammenhang, ersichtlich. In verstärktem Maße sind elektronische Landschaften zu Handlungsoberflächen geworden. Satelliten beschränken sich nicht darauf, materielle Topografien der Erde aufzuzeichnen, sondern erfassen auch unsichtbare, das heißt, atmosphärische, unterirdische oder unter Wasser gelegene Formationen. Ein aktuelles Beispiel wäre die militärische Ausforschung der Höhlenfestung von Al Quaida. Indem sie Raum durchmessen, repräsentieren Satellitenbilder nicht länger statische Augenblicke, sondern eine dynamisierte Geografie: bewegliche und veränderliche Oberflächen, auf denen ein ständiger Fluss von Signalen und Daten menschliche Migration, Flüchtlingsbewegungen und Grenzüberquerungen anzeigt. Diese Migrationsströme werden für wissenschaftliche Zwecke, die in der Regel politische Konsequenzen haben, aufgezeichnet und ausgewertet. Dabei ist zu betonen, dass diese Ströme stets innerhalb der Bedeutungsregimes kontrolliert werden, etwa wenn sich eine gewachsene Kultur durch den Zustrom von Einwanderern bedroht sieht. Es geht hier also um kulturelle Schauplätze, denn selbst die technologisch ausgefeiltesten Bilder werden in der Analyse gefiltert: durch menschliche Fantasien, Wünsche und Projektionen. Das zeigt Lisa Parks in ihrer einfallsreichen Untersuchung der archälogischen Auswertungen des Unterwasserpalastes der Kleopatra.(3) Eine denkbare ästhetische Interventionsstrategie würde sich demnach nicht auf die Bildproduktion, sondern auf die Wissensproduktion richten, die sich auf derartige visuelle Daten stützt. Parks’ Aufsatz über “Global Positioning Satellites” sucht nach alternativen, das heißt persönlichen Zugängen zu dieser Technologie. Mit dieser Praxis steht Parks für eine neue Generation von MedienwissenschaftlerInnen. Ihre Feldforschung unternimmt sie entlang der Autobahnen Südkaliforniens, australischer Touristenpfade und im Grenzgebiet zwischen Bosnien, Kroatien und Serbien. Dabei kommentiert sie mit der Gründlichkeit einer feministischen Geografin auch ihre eigene Positionierung, die zwischen Forscherin und Konsumentin, Beobachterin und Beteiligter, Imperialistin und Touristin liegt. Ihr Aufsatz veranschaulicht, wie GPS-Karten die Materialität menschlicher Bewegung im kartografischen Diskurs verankern und damit die globale und gesellschaftliche Positionierung in eins setzen. Diese Karten funktionieren intervisuell, indem sie “Wesen der Bewegung” zeigen – Wesen, die irgendwo zwischen der objektiven Karte des Territoriums und der subjektiven Erfahrung ihrer Bewegung am Boden verortet sind. Die Aneignung teurer Technologien für kulturelle Billigzwecke steht auch im Zentrum des Interesses von Makrolab, einem der fünf kollektiven Projekte innerhalb der Ausstellung. Vom slowenischen Künstler Marko Peljhan 1997 gegründet, handelt es sich bei dieser selbstgebauten räumlichen Struktur um eine nomadische und temporäre Forschungsstation, die sich selbst erhält. Sie sammelt von abgelegenen und bedrohten Orten aus, die Daten aus der ganzen Welt. Kurz: Das Lab stellt High-Tech-Kommunikationseinrichtungen in fremder Umgebung und unter manchmal prekären Bedingungen zur Verfügung, und lädt KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen dazu ein, Projekte zu entwickeln, die zur jeweiligen Umgebung in Beziehung stehen. Es erzeugt eine intensive Biosphäre, insofern die TeilnehmerInnen bereit sind, über die Dauer von Wochen auf engstem Raum zusammenzuarbeiten und ein Netz von Studien und Kunstwerken entstehen zu lassen. Das letzte Makrolab befand sich von Mai bis Ende Juli 2002 in den schottischen Highlands; das nächste ist in der Antarktis geplant. Als “Leben zwischen der Online- und Offline-Welt in Zeitzonen, die an den äußeren Rändern von Cyberia liegen” beschreibt Raqs Media Collective die Geschlechterverhältnisse für den neuen Typus des ausgelagerten Data-Agenten, des digitalen Proletariers. Gemeint ist die Online-Arbeiterin als die wahre Arbeiterfigur des 21. Jahrhunderts. In ihrer eigens für diese Ausstellung entwickelten Video- und Textarbeit A/S/L (Age/Sex/Location) entwirft Raqs Media Collective die Zeitgeografie wechselnder Identitäten in einer neuen Ökonomie: Angestellte in einem Call Center in Indien beantworten mit einem mittelwestlichen Akzent die Anfragen von KundInnen in Minneapolis. Jene Frauen, die sich zwischen den genannten Welten und ihren jeweiligen kulturellen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten hin- und herbewegen, suchen zugleich nach einem persönlichen Raum, in dem sie ihre Handlungsfähigkeit entfalten und für sich Lust gewinnen können. Darin liegt für sie die existenzielle Herausforderung. Zwei Projekte innerhalb der Ausstellung markieren einen europäischen Schwerpunkt. Da ist zum einen Frontera Sur RRVT (die europäische Südgrenze in Real Remote und virtueller Zeit), eine Initiative, die im Hinblick auf “Geografie” entstanden ist, die Ausstellung aber hoffentlich überdauern wird. Bei dieser Initiative handelt es sich um kein Kollektiv im formalen Sinn, sondern um eine lose Gruppe von KünstlerInnen und AktivistInen, deren Aufmerksamkeit einem als beispielhaft zu bezeichnenden geografischen Schauplatz samt seiner Bedeutungsebenen gilt. Die Rede ist vom Südrand Europas – La Frontera Sur –, dem spanisch-marokkanischen Grenzgebiet. In unterschiedlichen künstlerischen wie auch thematischen Ansätzen nähert sich dieses Projekt einer Region, in der auf engstem Raum Genderfragen, ethnische Filterungen, Debatten über Migration und Arbeit, zivilgesellschaftliche Initiativen, Geltungsansprüche auf öffentlichen Raum und technologische Kontrollmechanismen in einander greifen. Diese Region lässt sich nicht linear erfahren, sondern offenbart ein komplexes Kräfteverhältnis – ein Kräfteverhältnis, das darauf drängt, einer Größe Bedeutung zu geben, die sich Europa nennt. Zum anderen präsentiert multiplicity sein Projekt Solid Sea in einer erweiterten Form. Hier geht es um die Natur des Mittelmeers: um die Bewegungsflüsse, die es durchqueren, und um die Identitäten jener Individuen, die es bewohnen. Diese Arbeit steht in kritischem Widerspruch zur vorherrschenden versöhnlichen Auffassung vom Mittelmeerraum als “lieux rencontre” (Ort der Begegnung) beziehungsweise als Wiege unterschiedlicher, jedoch verknüpfter Kulturen, deren Traditionen sich mischen. Während Europa gegenwärtig eine Phase der Unsicherheit und der Errichtung von Grenzen durchlebt, entwirft multiplicity das Mittelmeer als festen Raum, der in verschiedenen Tiefenschichten und nach unterschiedlichen Vektoren durchquert wird – von TouristInnen, ImmigrantInnen oder Flüchtlingen, die jeweils einen anderen Status besitzen. Bureau d’études begreift Raumpolitik auf einer gesteigerten Abstraktionsebene. Dazu entwirft das Künstlerduo riesige Karten, die ein zunehmend stärker verflochtenes Netzwerk datensammelnder Systeme repräsentieren, wozu das Militär, energie- und biochemische Bereiche, doch auch die Unterhaltungs-, Informations- und Überwachungsindustrie gehören. Im Gegensatz zur geografischen Karte, die analog gelesen wird, weil ihr eine phänomenologogische Raumauffassung zugrunde liegt, handelt es sich beim Organigram um eine digitale und strukturelle Darstellung. Diese scheint dem Realen, das sich nicht länger fotografisch erfassen lässt, angemessener. Die piktografischen Arrangements in ihrer Arbeit don’t worry be happy offenbaren eine hochkomplexe Verknüpfung. Mit dem Folder cosmology, der zur freien Entnahme aufliegt, bekommt der Besucher einen Leitfaden an die Hand, der ihn durch die Netzwerke von Macht, Kooperation, Normalisierung und Eigentum führt, ohne die Zusammenhänge zu vereinfachen. “Geografie” ist in hohem Maße diskursiv geprägt und umfasst daher auch ein Programm mit Veranstaltungen, Diskussionen und Filmvorführungen. Dieses Programm soll die künstlerischen Arbeiten noch deutlicher zu den theoretischen und politischen Debatten in Beziehung setzen. Dazu gehört etwa das cyberfeministische Web-Projekt womenspacework, eine Kommunikations- und Vermittlungsplattform für laufende Internetprojekte und andere Initiativen, die von Frauen getragen werden – mit dem Ziel, künstlerische, theoretische und aktivistische Praktiken zusammenzubringen. Republicart, in Wien verortet, ist zugleich Forschungsprojekt und Initiative zur Schaffung eines transnationalen Netzwerks politisch inspirierter Kunstinterventionen im öffentlichen Raum. Schließlich wird es auch noch eine Vorführung meines Videoessays Remote Sensing geben, einer Topografie des globalen Sexhandels, und dazu einen Vortrag von einer Vertreterin einer österreichischen Organisation MAIZ, die sich mit weiblicher Migration und dem internationalen Menschenhandel befasst. “Geografie” ist eine Ausstellung über die Transformation von Raum. Der Begriff Transformation lässt sich neben der Umgestaltung von Orten auch auf die veränderte interdiskursive Konfiguration zwischen Kunst und Geografie beziehen. War die akademische Disziplin der Geografie nicht dazu in der Lage, die grundlegenden Umwälzungen abzubilden, die sich in der postkolonialen, postmigratorischen und postkommunistischen Welt zugetragen haben, dann ist vielleicht die Kunst imstande, das Verhältnis der Geografie zu Ort und Mobilität neu zu entwerfen? So lautet eine der Fragen, die Irit Rogoff in ihrem erhellenden Buch “Terra Infirma” stellt, das mir im Zuge der Entwicklung dieser Ausstellung ein steter Begleiter war.(4) Dementsprechend geht diese Ausstellung auch Rogoffs Spuren nach, das heißt, sie widmet sich der Problematik des Geografischen und liefert eine Interpretation des aktuellen Transfers der geografischen Bedeutungspraxis in die Kunstdiskurse und in jene alternativen künstlerischen Strategien hinein, die im Lauf der letzten Jahre entstanden sind. So wie ich Kuratieren verstehe, handelt es sich dabei um eine erweiterte Form meiner eigenen künstlerischen Praxis. Dazu gehört nicht, dass man Europa durcheilt, um alle wichtigen Ausstellungen auf der Jagd nach aufregenden Entdeckungen abzugrasen. Ich war persönlich in einige der Projekte in “Geografie” involviert, habe mich in die jeweiligen Netzwerke begeben oder neue Kooperationen initiiert, beispielsweise die zwischen spanischen KünstlerInnen und marokkanischen AktivistInnen, wo beide über die Politiken der Straße von Gibraltar, über Politiken der Verbindung und des Ausschlusses arbeiten. Zusammen mit Lisa Parks habe ich zwei Wochen in den herben schottischen Highlands verbracht, wo wir in die Biosphäre des Makrolab mit seinen extremen Arbeits- und Lebensbedingungen eingetaucht sind. Ich habe auch das Glück, an Irit Rogoffs Forschungsprojekt “European Conversations on Cultural Difference” beteiligt zu sein, das ein Netzwerk progressiver kultureller ProduzentInnen und PolitikerInnen spannt. Aus diesem Projekt heraus werden sich auch in Zukunft Kollaborationen ergeben. Die Durchlässigkeit jener Aktivitäten, die als kuratorisch, wissenschaftlich, künstlerisch und aktivistisch definiert sind, lässt sich an jedem einzelnen Projekt, jedem einzelnen Vortrag erkennen. Das eigentliche Ausstellungsziel liegt somit nicht darin, abgeschlossene Kunstwerke zu präsentieren, sondern Einblicke zu geben in eine netzwerkgestützte Kunst und in eine intellektuelle Gemeinschaft. Ihnen gemeinsam sind die Bedenken angesichts der europäischen Politik der Errichtung von Grenzen, mit der neue Formen der Machtkonsolidierung sowie geschlechterabhängige Verschiebungen in der globalen Arbeitsteilung einhergehen. Genau dieser zentralen Frage von Staat, Sicherheit und Erzeugung von Differenzen stellt sich Irit Rogoff in ihrem Versuch, die globalen Machtverhältnisse neu zu denken. Ihr Text “Engendering Terror” nähert sich dem Phänomen Terror in anderen als den bekannten Kategorien, indem er die visuelle Kultur mit aller Sorgfalt als Schauplatz einer alternativen, relationalen Geografie begreift. Rogoff zitiert den Terror und das Archiv früherer Widerstandspraktiken, antikolonialer Kriege und Stadtguerrillabewegungen im Sinne geografischer Ambivalenzen, die den Nationalstaat aus seiner Verankerung reißen. Durch die Verknüpfung geografisch unterschiedlich verorteter radikaler Bewegungen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ähnliche theoretische Vorstellungen artikulierten und gegenseitige Engagements eingingen, macht Rogoff einen Querschnitt durch den postkolonialen Zeit-Raum und gelangt zu einer verräumlichten Geschichtsdeutung. Ihre Analyse über die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und jüngste Fälle weiblicher palästinensischer Selbstmordattentäter bringt ans Licht, dass Terror und seine Darstellungsformen in hohem Maße durch Gender geprägt sind. Die gehabten Konzepte von Weiblichkeit und Terrorismus müssen umgedeutet werden. Eine andere Art von Gegen-Geografie betreibt Brian Holmes. Er zeichnet die Wege nach, welche die zunehmend umfangreicheren kollaborativen Performances und konzeptuellen Kunstprojekte nehmen, die neue Orte und Formen institutioneller Macht in den Global Days of Action performativ kartografieren. Seine Fragen zur Funktion, die spezialisierte Kunstpraktiken und institutionelle Räume als Orte der Produktion, Reflexion, des Austausch und der Archivierung spielen können, oder auch als Orte, an denen die Debatte über die Umwertung der Werte sichtbar wird, – diese Fragen spiegeln zugleich die übergeordnete Fragestellung dieser Ausstellung wider. 1) Linda McDowell, Gender, Identity & Place: Understanding Feminist Geographies, University of Minnesota Press 1999. Das letzte Kapitel “Displacements” gilt Bewegung und Reisen. 2) James Clifford, Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Harvard University Press 1997. 3) Lisa Parks, Cultures in Orbit: Satellites and Television, Duke University Press 2003. 4) Irit Rogoff, Terra Infirma: Geography’s Visual Culture, Routledge 2000.