0
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446201200
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Format (T/L/B): 2 x 21.9 x 14.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Lukas hat einen ungewöhnlichen Wunsch zu seinem 14. Geburtstag: ein paar Tage allein durch München streifen. Unterwegs lernt er die blinde Sonja kennen. Sie öffnet ihm die Augen, und er lernt, das Leben und seine eigenen Gefühle neu zu entdecken: Plötzlich ist jedes Geräusch, jede Berührung intensiver. Lukas weiß, dass er Sonja nicht verlieren will. Nur wie er das schaffen kann, weiß er nicht.

Autorenportrait

Online-Special

Leseprobe

In der Sonne schüttelte ich mich wie ein Hund, der aus dem Wasser steigt, und legte den Kopf in den Nacken. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Am liebsten wäre ich losgerannt, die Gollierstraße vor zur Theresienhöhe, dann den Berg runter und quer über den großen Platz, auf dem im Herbst das Oktoberfest stattfand, und von der anderen Seite wieder zurück und dann im Kreis, an der bronzenen Bavaria vorbei, einfach drauflos, und ich freu mich, dass ich allein bin und niemand mir reinredet oder was anderes will als ich. Und gerade, als ich tatsächlich loslaufen wollte - ich ging bei Rot über die Ampel und am Karstadt-Hochhaus vorüber -, da hielt ich inne und dachte an das Mädchen. Auf einmal sah ich sie vor mir, die blaue Tasche über der Schulter, die dunkle Sonnenbrille im Gesicht. Und ich dachte, sie kriegt überhaupt nichts mit von dem Tag, von der ganzen Sonne, von den Bäumen, an denen die Blätter so leuchteten, als würde jemand eine Taschenlampe mit einem grellen Licht draufhalten, auf jedes einzelne Blatt. Und ich dachte, sie kann die Früchte überhaupt nicht sehen, die rot und grün und gelb und orange und lila und blau sind und winzige Wasserperlen darauf wie Schmuck, und sie kann die rote Katze überhaupt nicht sehen, die sich mitten auf dem Bürgersteig hinfläzt, weil da wahrscheinlich das Pflaster am wärmsten ist. Und sie kann die Leute in den kurzen Hosen und den irren Sonnenbrillen nicht sehen und die Cabrios mit den lässigen Typen am Steuer und die Blumen zwischen den Trambahnschienen und die ganze Stadt, die großartig war heute, und vielleicht hatte meine Mutter die Wahrheit gesagt: dass in der Maximilianstraße das schönste Abendlicht schien, das man sich vorstellen konnte, und heute brauchte man es sich überhaupt nicht vorzustellen, heute war es tatsächlich da, später, in ein paar Stunden. Ob sie zumindest einen winzigen Ausschnitt von all dem sehen konnte? Einen Fingerhut voll Sonne? Nein, sie war gegen einen Stuhl gerannt, den kein Mensch übersah, sie hatte Schiss, allein über die Straße zu gehen. Und ich hätte sie beinah umgestoßen, wenn sie sich nicht festgehalten hätte. Wie hätte sie ahnen sollen, dass da einer die Rolltreppe in falscher Richtung lief? An der Ecke zur Theresienhöhe blieb ich stehen und kam mir blöde vor, weil ich nicht geschnallt hatte, was mit ihr los war. Ich kam mir sowieso total blöd vor jetzt. Hatte mir groß vorgenommen, durch die Stadt zu kreisen, und was tat ich in Wirklichkeit? Blieb an jeder Ecke hängen, redete mit Pennern, sprang in irgendwelche Straßenbahnen, als wär ich auf der Flucht, besuchte meinen Großvater in seinem sinnlosen Lokal, stand rum und wusste nicht weiter. Dauernd überlegte ich was, dauernd ließ ich in meinem Kopf die Gedanken los wie ein Rudel Hunde und die zogen mich dann durch die Gegend, überall hin, und ich kam nicht dazu zu überlegen, ob ich überhaupt dahin wollte, ich stolperte einfach hinterher. Heute war mein vierzehnter Geburtstag. Von heute an war ich strafmündig. Und wenn ich einen Antrag stellte, bekam ich meinen ersten Personalausweis mit einem ordentlichen Foto drin. Ich hatte es geschafft abzuhauen, ohne dass meine Eltern was mitkriegten, und was passierte? Erst ließ ich mich von Rico aufhalten und dann von allen möglichen anderen Leuten. Die spürten das, dass ich ein leichtes Opfer war, die rochen das. So wie ich gerochen hatte, ohne hinzuschauen, dass der Grieche in der Nähe des Schwaigerwirts Melonen verkaufte, auch wenn man Melonen überhaupt nicht riechen kann, jedenfalls nicht auf die Entfernung. Ich schon. Und die Leute rochen, was ich für einer war. Und damit war jetzt Schluss! Endgültig Schluss! Mit vierzehn, dachte ich und blieb stehen, weil an der Ampel grün war, hab ich meinen eigenen Willen und den hat jeder zu akzeptieren und keiner schreibt mir irgendwas vor, egal, ob er alt ist oder blind. Kapiert? Endlich war Rot und ich überquerte die Straße. Beinah hätte der Fahrradfahrer, der wegen mir ei ... Leseprobe

Weitere Artikel vom Autor "Ani, Friedrich"

Alle Artikel anzeigen