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Wen die Götter küssen

Roman

Erschienen am 04.08.2008
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783453353145
Sprache: Deutsch
Umfang: 573 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 18.5 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Lesley Lokko , 1964 in Schottland geboren, stammt aus einem ghanaisch-schottischen Elternhaus. Sie wuchs in Ghana, Westafrika, auf und studierte Architektur in ihrer Heimat sowie in Großbritannien und den USA. Seit 1995 lehrt sie an verschiedenen Universitäten, derzeit in London. Nach ihren erfolgreichen Büchern "Die Welt zu Füßen"und "Wen die Götter küssen" ist "Mein ist die Welt" Lesley Lokkos dritter Roman bei Diana.

Leseprobe

Teil I Prolog London 1974 Amber Sall kauerte sich so gut es ging zusammen, um in den hinteren Teil des Schuhschranks zu passen. Dort, wo normalerweise der Staubsauger stand, war es dunkel, und die dichte Reihe der Mäntel und Schals, die an der Wand entlang hingen, schotteten sie von der Außenwelt ab. Es war der einzige Ort im Haus, wo sie die ewigen Streitereien nicht hören musste. Das Schreien hielt sie gerade noch aus - Max' Stimme, die immer lauter wurde -, aber das Weinen ertrug sie nicht. Wenn ihre Mutter - leise zuerst, dann heftiger - in ihr keuchendes Schluchzen ausbrach, war das für Amber das Zeichen, in den Schrank zu flüchten. Dort, und nur dort, wo die Laute kaum hörbar waren, beruhigte sich ihr Herzschlag wieder und ihre panische Angst ließ nach. Hier drinnen herrschte wohlige, tröstliche Stille. Sie wickelte sich das Ende eines Schals ums Gesicht, begann die Minuten zu zählen und hoffte, der Streit würde nicht zu lange dauern. Eins, zwei, drei, zählte sie. Bei neun angelangt, hörte sie eine Tür zuschlagen, gefolgt von lauten Schritten auf der Treppe. Daraufhin knallte die Haustür so heftig zu, dass die Scheiben klirrten. Sie hielt den Atem an, aber es folgte nichts mehr. Ein paar Minuten blieb sie still sitzen und wartete, ob noch etwas passierte. Nichts rührte sich. Dann hörte sie Max' Auto anspringen. Der Motor heulte ein paar Mal auf, und dann war er fort. Erleichtert atmete sie auf, kroch aus dem Schrank und lief nach oben. Ihre Mutter lag in dramatischer Pose auf dem Seidendiwan des Salons im ersten Stock. Tränenüberströmt sah sie zu Amber auf, als ihre Tochter ins Zimmer stürmte. »Liebling«, sagte sie mit erstickter Stimme, »Max ist fort.« »Ja, ich weiß. Aber es ist erst Montag«, antwortete Amber ungesührt. »Er kommt schon wieder. Möchtest du irgendwas?« »Nur eine Umarmung. Nimm mich einfach in den Arm.« Ihre Mutier wischte sich die Tränen ab. »Komm her, Liebling.« »Nein«, erwiderte Amber mit Blick auf die verlaufende Wimperntusche ihrer Mutter entschieden. »Du machst mein Gesicht schmutzig. Ich schick Krystyna rauf.« Sie wandte sich zum Gehen. »Bitte sie doch, mir Tee zu bringen«, rief ihre Mutter ihr nach. Amber verdrehte die Augen. Tee? Vermutlich eher Kognak. Sie lief die Treppe hinunter. In der Küche fand sie Krystyna, das freundliche polnische Dienstmädchen, die für diesen gewohnten Ablauf bereits ein Tablett vorbereitete. Krystyna lächelte sie an und umarmte sie, bevor sie mit dem Tablett und dem silbernen Flachmann darauf nach oben verschwand. Amber nahm sich ihren Mantel von der Garderobe, packte ihre Hausaufgaben und rannte aus dem Haus, wobei sie die Tür heftig hinter sich zuschlug. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lief sie die Treppe zu Beckys Haustür hinauf und klingelte ungeduldig. Sie wollte so weit wie möglich von dem heimischen Unfrieden entfernt sein. Beckys Mutter öffnete die Tür und musterte das hübsche zehnjährige Mädchen, dessen Gesichtsausdruck alles sagte. Sie seufzte. Es mochte aufregend sein, den Millionär Max Sall zum Nachbarn zu haben, aber seine Kinder taten ihr Leid, vor allem Amber. Max zum Vater zu haben war schon schwierig genug, wenn man an sein bizarres Privatleben dachte - eine Frau und eine Familie in London, und eine Geliebte mit Tochter in Rom -, aber obendrein noch mit einer alkoholsüchtigen, hohlköpfigen Mutter wie Angela geschlagen zu sein. Kein Wunder, dass das Kind so elend aussah. »Becky ist oben«, sagte sie und widerstand dem Drang, Amber zu umarmen, als sie an ihr vorbeihuschte. Sie sah dem Mädchen nach, wie es die Treppe hinauflief. Es hatte kein Wort gesagt. Wie auch immer, dachte sie, als die Tür von Beckys Zimmer zuschlug, Amber gehörte nicht zu den Mädchen, die man umarmt, weil sie schon mit ihren zehn Jahren zu selbstständig dafür wirkte. Sie schien keine Zuwendung zu brauchen, sie kam allein zurecht. Ganz anders als Becky, ihre eigene Tochter, dachte Susan Aldridge oft. Seit dem Kindergarten waren die beiden die besten Freundin Leseprobe