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Günter Grass

Ein deutscher Schriftsteller wird besichtigt

Erschienen am 28.02.2005
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053380
Sprache: Deutsch
Umfang: 208 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 21 x 13.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Per Øhrgaards großer Essay über Günter Grass würdigt den deutschen Nobelpreisträger aus europäischer Perspektive. Er verfolgt das Leben des Autors von seinen Anfängen bis heute, von der frühen Lyrik und der Danziger Trilogie bis zum Nobelpreis und der jüngsten Novelle "Im Krebsgang". Dabei sind Leben und Werk nicht zu trennen, der Schwerpunkt liegt hier jedoch auf dem Werk selbst. Das Buch des renommierten Germanisten und Grass-Übersetzers Øhrgaard, 2001 mit dem Henrik-Steffens-Preis ausgezeichnet, ist nicht nur Grass-Kennern, sondern auch als Einführung zu empfehlen.

Autorenportrait

Per Ohrgaard, 1944 in Kopenhagen geboren, ist Professor für deutsche Literatur an der Universität Kopenhagen. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur deutschen und dänischen Literatur. Für seine übersetzungen deutscher Autoren, darunter Schiller, Kafka, Adorno, Horkenheimer, Enzensberger und Grass wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Leseprobe

Aus dem Dänischen von Christoph Bartmann. n den Bericht vom Wahlkampf 1969 mischen sich im Tagebuch einer Schnecke, wie erwähnt, Berichte aus dem Privatleben. Der Autor, der Wahlredner, ist auch Familienvater. Nicht nur das Wohl Deutschlands, auch das der Kinder liegt ihm am Herzen, und deshalb liegt ihm auch daran, beides als zwei Seiten derselben Medaille darzustellen. Die Kinder sollen wissen, weshalb ihr Vater die ganze Zeit weg ist - '>Sag mal deinem Wahlkampf<', meint die Tochter Laura am Telefon, als er nach einem kurzen Wochenende in Berlin wieder losgefahren ist -, '>er soll aufhören<', und der Vater gibt sich Mühe, Schritt zu halten mit dem Leben der Kinder und seine Aufgabe als Erzieher ernst zu nehmen. Die älteren Söhne - zwölf Jahre alt - werden behutsam über die Notwendigkeit der Geduld belehrt, die Tochter von acht Jahren unter die Fittiche genommen, von dem Fünfjährigen ist zu lesen, daß er immer 'leider' zu allem sagt, und der egozentrische Charakter des Autors wird nicht verleugnet, als er seinen Jüngsten zitiert, wie er ihn einem Gast mit den Worten vorstellt. '>Is ja mein Vater, leider.<' Um dieser Kinder Zukunft willen wird ein Wahlkampf geführt, und diese Kinder sollen von der Vergangenheit hören. Am Rande werden Ehekrisen angedeutet, die sich um 1970 zuspitzten, ehe sie in der Scheidung endeten. Das ist private Biographie, aber es ist auch Literatur. Grass macht in seinen Werken aus ihrer Verbindung mit seinem Leben keinen Hehl und schreibt doch keineswegs Schlüsselromane. Seine Bücher sind nicht in dem Sinne privat, als wenn Günter Grass, hätte er sich nicht scheiden lassen, auch den Butt nicht geschrieben hätte, den Roman über den ewigen Kampf und die ewige Liebe zwischen den Geschlechtern. Die Rede ist von - bisweilen zeitversetzten - Parallelverläufen; auch hier gilt, daß Grass' Kunst 'gegenständlich' ist. Zum Beispiel könnte man in der Figur Ulla Witzlaff im Butt sehr wohl ein angedeutetes Porträt von Ute, Grass' späterer Frau, sehen: beide sind Organistinnen. Ute Grass stammt von der Insel Hiddensee, wohnte in Ostberlin, studierte in Westberlin, als die Grenze geschlossen wurde, und flüchtete im Herbst 1961 kurz nach dem Mauerbau in den Westen. Doch decken sich literarische Gestaltung und persönliche Biographie keineswegs, und es hat wenig Sinn, nach 'Vorbildern' für einzelne Gestalten zu suchen. Die Wirklichkeit ist niemals nur diese eine - und der kleine Bericht in Mein Jahrhundert aus dem Jahr 1976 führt jeden an der Nase herum, der daran glaubt. Er erzählt ganz authentisch von Ostberliner Begegnungen zwischen Schriftstellern aus Ost und West. Natürlich weiß man, daß man den ganzen Weg über, von der Grenze bis zum Treffpunkt, beschattet wird; doch die nach dem Fall der Mauer zugänglichen Archive enthalten über jene Treffen nichts. Also gab es keinen Spitzel unter den Teilnehmern - so daß man bald nicht mehr weiß, ob die Treffen stattgefunden haben, schreibt Grass mit einer Spitze gegen den naiven Glauben, die Stasi-Dokumente enthielten stets die Wahrheit. Doch ist in den Archiven zu lesen, daß bei einem der Treffen 'mich [.] eine Person - weiblich, hochgewachsen, blondgelockt - begleitet habe, die, was die Grenzkontrolle zu ergänzen wußte, auf der Ostseeinsel Hiddensee geboren sei, ihr Strickzeug mit sich führe, aber bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in literarischen Kreisen als unbekannt gelte. So kam Ute in die Akten. Seitdem ist sie Tatsache. Kein Traum kann sie mir nehmen.' Unabhängig von der Anwesenheit des Autors im Werk gilt für Grass dasselbe, was Goethe über die Wahlverwandtschaften sagte: 'daß darin kein Strich enthalten sei, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden'. Man darf aber feststellen, daß Grass in den siebziger Jahren - in denen 'in Westberlin und Wewelsfleth, wo immer ich mit meinem fragmentarischen >Butt< ein Dach überm Kopf suchte, der Haussegen schief hing' - sein Verhältnis zum Ewig-Weiblichen noch energischer thematisiert als zuvor. Nun ist e Leseprobe